
Bildungswege
C. berichtet über ihren ältesten Sohn
Unser ältester Sohn war 10 Jahre alt, als wir nach Deutschland kamen. Er konnte die hier gebräuchliche Schrift schreiben und lesen, verstand aber kaum Deutsch.
Zunächst wurde er in die 3. Klasse eingeschult. Ich als Mutter konnte auch nur wenig Deutsch und bat meinen Mann nach einigen Tagen, die Lehrer davon zu überzeugen, dass unser Sohn die 4. Klasse besuchen sollte, was ihm auch gelang.
Da es in der Schule keinen zusätzlichen Deutschunterricht gab, war klar, dass wir zu Hause intensiv üben mussten: Er schrieb täglich 3 Seiten ab und las mir viel vor. Bei Besonderheiten wie Doppellauten behalfen wir uns mit einer Tabelle, in der den Buchstaben Laute zugeordnet waren. Abends konnte er auch bei seinem Vater nachfragen. Außerdem übte ich mit ihm alle Texte, die zu schreiben waren, indem ich sie ihm diktierte. Er schaffte es, in Diktaten immer 0 Fehler zu erreichen. Das Rechnen im 4. Schuljahr bereitete ihm keine Schwierigkeiten, wohl aber die Textaufgaben. Mit Hilfe eines Wörterbuchs versuchten wir, einzelne Wörter zu verstehen und auf die richtige Rechenoperation zu schließen. So erledigte er seine Hausaufgaben zur Zufriedenheit der Lehrerin und es gelang ihm, auch in Rechenarbeiten fehlerlos zu bleiben.
Nach 4 Monaten in Deutschland stimmte die Grundschule zu, dass er ein Gymnasium besuchen sollte. Wir hatten den Hintergedanken, dass er dort das 5. Schuljahr hätte wiederholen können, wenn es nötig sein sollte. Es kam nicht dazu; in den naturwissenschaftlichen Fächern war er sehr gut, in den Sprachen allerdings schwach.
Als er in der 10 Klasse war, wurde die Lehrerin, die ihn bisher in Mathematik unterrichtet hatte, nun auch seine Deutschlehrerin. Sie wunderte sich über seine unzureichenden Leistungen in diesem Fach und riet uns dringend, eine gute Nachhilfe finden. Eine pensionierte Lehrerin war bereit, mit ihm zu arbeiten. Er ging 2 – 3 Jahre zu ihr und sagte später, dass er über das Fachwissen hinaus viel über das Leben in Deutschland gelernt hätte, von ihrer Lebensweisheit profitiert hätte und jetzt wisse, wie man seinen Weg finden könne. Seine Abiturleistungen in den naturwissenschaftlichen Fächern waren sehr gut.
Er hat studiert und den „Master of Science“ abgelegt. Danach hat er promoviert und ist nun in der Photo-Nanotechnologie tätig.