
Bildungswege
A. berichtet über ihre Kinder
Sohn
Nachdem wir erfahren hatten, dass wir nach Deutschland ausreisen konnten, blieb uns nicht viel Zeit und es war uns nicht möglich, vorher die Sprache zu lernen.
In Deutschland wohnten wir in einem Dorf. Unser Sohn besuchte die Gesamtschule in der Kreisstadt, konnte dort aber aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse zuerst dem Unterricht nicht folgen. Zusätzliche Unterstützung gab es nicht. Gegen die Ausgrenzungen seiner Mitschüler wehrte er sich. Er hatte einen schweren Stand in der Klasse. Wegen schwacher Leistungen sollte er in die Sonderschule versetzt werden. Nach der 9. Klasse mit einem Hauptschulabschluss ( Notendurchschnitt 4 ) wollte er nicht weiter zur Schule gehen. Er suchte sich eine Lehrstelle als Maler und Lackierer und schloss die Lehre schließlich mit guten Noten ab.
Mit 18 Jahren zog er zu Hause aus. Nach 2 Jahren als Malergeselle entschied er sich weiterzulernen. Für eine Zeit von zwei Jahren ging er tagsüber arbeiten und am Feierabend in die Abendrealschule und holte die 10. Klasse nach.
Anschließend besuchte er eine Vollzeitschule und konnte aufgrund der abgeschlossenen Ausbildung das Fachabitur in Richtung Bautechnik absolvieren.
Nun wollte er studieren. Er war 24 Jahre alt, als er sich 2004 an einer FH im Fach Architektur einschrieb. In diesem Jahr heiratete er auch. 2008 war er fertig; zusammen mit Jahrgangskollegen war er der 1., der das Studium in so kurzer Zeit abschloss. Nebenher hatte er schon in einem Architekturbüro gearbeitet, das ihn jetzt in eine Vollzeitstelle übernahm. 2009 musste das Büro wegen der Finanzkrise 8 Leute entlassen. Auch er sollte seine Arbeit verlieren. Sobald er das wusste, schrieb er Bewerbungen und es gelang ihm, sofort wieder eine Anstellung zu finden. Er arbeitet jetzt wieder in einem Architekturbüro.
Seiner Frau, die im Iran Industriedesign studiert hatte, wurde weder das Studium noch das iranische Abitur anerkannt. Wenige Jahre, nachdem sie hierher gekommen war, legte sie das deutsche Abitur ab. Sie hat nun ein zweites Studium aufgenommen.
Tochter
Unsere älteste Tochter war 6 Jahre, als wir nach Deutschland kamen. Wir wohnten in einem Dorf. Sie besuchte 2 Monate lang den Kindergarten und wurde dann eingeschult. Sie war unglücklich, weil sie die Hausaufgaben nicht verstand und bat uns, ihr zu helfen, was wir aber nicht konnten. Da entschloss sie sich, zu einer Freundin zu gehen, deren Mutter ihr dann alles erklärte und an die sie sich immer wieder wenden konnte.
Als wir in einen anderen Ort umgezogen waren, suchte sie sich wieder ganz selbständig Personen, die ihr helfen konnten. Sie fand engagierte Nachbarn, die sie unterstützten, wenn sie etwas nicht verstanden hatte. Sie hatte gute Noten und bestand schließlich das Abitur.
Danach studierte sie International Business Administration. 2008 erreichte sie nach 4 Jahren den Bachelor-Abschluss. Ihr Professor vermittelte ihr den Kontakt zu einer Firma. Dort bekam sie den Rat, noch den Master anzuschließen; sie würden ihr die Stelle freihalten. Meiner Tochter gelang es, nach einem Jahr den Master-Abschluss als Jahrgangsbeste abzulegen.
Sie arbeitet jetzt bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in München.